Liebe Leonbergerinnen, liebe Leonberger, eben hat der Gemeinderat einen Kompromiss für bezahlbaren Wohnraum an der Berliner Straße und im Schützenrain auf den Weg gebracht. In gleicher Sitzung ist der sicher über 10 Mio schwere Kinder-Campus im Bereich Sophie-Scholl-Schule / ÖZE mit am Ende neun Kindergartengruppen und einer Mensa in die Planung gegangen. Sekundengleich regen sich die „Experten“ bei Facebook auf, die zur Wohnflächenentwicklung lieber einen Bürgerentscheid gehabt hätten.

Offenkundig haben diese aber noch nicht mal erkannt, dass es hier bereits direkt um bezahlbare Wohnungen geht! Und das ist leider exemplarisch für Bürgerentscheide: aufgeregte Menschen mit gepflegtem Halbwissen stellen oft einen Großteil der Teilnehmer und lassen sich von prägnanten Fragestellungen mitreißen. Selbstverständlich gibt es auch sehr gut informierte Bürger, die sich in meist zentimeterdicke InfoStapel einlesen und eine fundierte Entscheidung treffen. Aber bei in der Regel von den Anstrengern der Bürgerentscheide formulierten Panik-Fragen kann kaum ein gerechtes Ergebnis folgen.

Zumal wir ja alle täglich ein Leben zu absolvieren haben, Arbeit, Kinder, tägliche Probleme. Da ist es doch kaum möglich, dass eine breite Mehrheit noch lange Abhandlungen zur Problemstellung goutiert. So kommt es zu legendären Fehlentscheidungen. Brexit. Hat so dann doch keiner gewollt. Leonberger Bäderstreit: plötzlich verursacht jeder Besucher über 20 Euro reale Kosten. Will keiner mehr wissen, ist aber so. Bürgerentscheide wie sie geführt werden sind ein populistisches Machtmittel. Schauen Sie selbst, welche Parteien das super finden, und alles ist klar. Analysieren Sie Bürgerentscheide! Haben die Fragen nicht stets einen Hauch von „wollen Sie 1000 Euro geschenkt oder nicht?“ Also bitte, gerade in Wahlzeiten: wählen Sie Menschen, denen Sie zutrauen, dass sie in Ihrem Sinne, denn eine Wahl ist ein Bürgerauftrag, meterdicke Drucksachen gewissenhaft durcharbeiten und fundierte Entscheidungen treffen. Für unser aller Leben. Wenn Sie niemanden finden dem Sie trauen: auch kein Problem, gründen Sie eine eigene Liste. So schwer ist das nicht, wie Sie an uns und anderen sehen. Vor Jahrzehnten haben kluge Menschen die repräsentative Demokratie für uns festgelegt. Das war gut. Das ist gut. So lange Sie zur Wahl gehen oder sich selbst stellen. Und wenn Sie sich jetzt schon aufregen, warum ich nichts Konkreteres beizutragen habe: hier ist unser Platz begrenzt. Es gilt: „Den Fraktionen stehen für ihre Beiträge jeweils 100 bis maximal 120 Amtsblattzeilen à 44 Zeichen zur Verfügung, […] Den Gruppierungen und Einzelpersonen steht unter Berücksichtigung der abgestuften Chancengleichheit jeweils genau die Hälfte dieses Umfangs zur Verfügung“ (Redaktionsstatut ohne Beteiligung der Gruppierungen erdacht). Bleibt die Frage, was eine „abgestufte Chancengleichheit“ sein soll. Der Wortschwurgel widerspricht sich selbst. Entweder gleich oder abgestuft. Zusammen ist es eine schicke Ausrede für die größeren Parteien, um die Kleineren kleiner zu halten. Als ob ich nicht eine ganze Amtsblattseite in zwei Stunden sinnvoll füllen könnte. Eine verdeckte Form von Dauerwahlkampf, also. Frank Albrecht